Velo-Abenteuer in fünf Akten

Eine Radtour quer über die Alpen

Eine Radtour quer über die Alpen

Wenn das Gepäck per Bus reist, sind Bikern kaum mehr Grenzen gesetzt.
Beim Stichwort «Alpentransit» denken die meisten an Verkehrspolitik und Staus. Nicht so die Mountainbiker: Für sie sind die Alpen eine willkommene Gelegenheit, die eigenen Grenzen auszuloten und sich zu beweisen; einer der letzten grossen Abenteuerspielplätze im sonst weitgehend erschlossenen Europa. Darum halten Mountainbiker nicht Ausschau nach Basistunneln, sondern nach abenteuerlichen Wegen oben drüber – frei nach dem olympischen Motto «höher, schneller und weiter».

Von Wien bis Nizza sind die Alpen nicht nur eine Klima- und Wasserscheide: Abseits grosser Ballungsräume und Verkehrsachsen geht hier alles einen etwas gemächlicheren Gang, und das selbst in der Hochsaison. Und wer genau hinguckt, entdeckt beidseits des Alpenkamms auch viel Gemeinsames. Und für jeden Geschmack passende Routen für geländegängige Velos, denn über die Jahrhunderte haben Handel und Händel in den Alpen ein dichtes Wegnetz hinterlassen: Das reicht von der vier Meter breiten Schotterstrasse über Feld- und Alpwege bis zu Saumpfaden weit oberhalb der Baumgrenze.

Hart an der Baumgrenze
Mountainbiker werden beobachtetTags darauf ist es endgültig vorbei mit dem gemächlichen Einrollen: Im Grödnertal wird der Talboden schmaler, dafür sind die Felswände umso schroffer. Die Route führt vorbei an Weilern, die über die steilen Flanken des Grödnertals verstreut sind, und hinauf zum Heiligkreuz-Hospiz. Im Schatten der mächtigen Wand des Kreuzkofels gelegen, ist dies ein beliebtes Ausflugsziel. Und ein Refugium, falls das Wetter plötzlich umschlagen sollte. Hier wartet ein erstes Highlight: Ein Bergweg führt mit zahllosen Richtungswechseln unten an der Steilwand des Kreuzkofels entlang, hart an der Baumgrenze und mit Ausblick auf weitere Dolomitengipfel. Und zaubert vom vorsichtig fahrenden Einsteiger bis zu waghalsigen Könnern allen ein seliges Lächeln aufs Gesicht. Von Corvara aus führt die Route tags darauf steil bergan zur Pralongia, einer im Hochsommer vor Blüten strotzenden Hochalp, die ein eindrückliches Rundum-Panorama auf die Bergwelt bietet.
Noch wartet der eigentliche Höhepunkt der Woche, der schwer erarbeitet werden will: Von Cortina d'Ampezzo aus, wo man definitiv Südtirol verlassen hat, warten fast zwei Stunden Anstieg – teilweise hart an der Grenze des Fahrbaren. Die Plackerei wird aber stets mit grossartigen Aussichten belohnt. Nach dem Lago di Limo ist schliesslich der Fanes-Kessel erreicht: rundum steile Bergflanken und Felswände, unten einige Bergseen, gespeist von Wasserfällen. Und mittendrin drei Berghütten, zur Stärkung hungriger Ausflügler. Bei Brodo, Pasta Napoli und Apfelschorle sind sich alle einig: Die Mühe der letzten Tage und Stunden hat sich gelohnt. Laurens van Rooijen



Biketour durch die Alpen
Route Steinach nsch SterzingDie beschriebene Route beginnt in Steinach am Brenner und führt am ersten Tag von Matrei über die Brenner-Grenzkammstrasse und Sattelberg-Kreuzjoch nach Sterzing.

Der zweite Tag beginnt in Franzensfeste, führt die Biker durchs Pustertal nach St. Florenzen und endet in St. Vigil.

Am dritten Tag pedalt man durchs Hochtal Alta Badia zum Heiligkreuz-Hospiz und nach Stern / La Villa.

Der vierte Tag geht von Corvara übers Sella-Massiv nach Pralongia, über den Passo di Valparola.

Die fünfte Tagesetappe beginnt in Cortina d'Ampezzo, geht dann übers Limojoch ins Fanestal und via Armentarola nach St. Pedacres / Alta Badia.

NZZ vom 11.04.2010
Fotos: Alex Buschor


Knackige Trails und fette Haxen

Alpentransversale per Bike: Wie die Dolomiten Velofahrer müde und glücklich machen

DolomitenBergluft, Espresso und rasante Talfahrten – so wird eine Bike-Woche in den Dolomiten zum bleibenden Naturerlebnis.


VON PHILIP GEHRI (TEXT UND BILDER)

Auf dem Sattelberg hoch über dem Brenner zitiert unser Guide Ivan Mozart. Der hat sein Alpencross mehr als 200 Jahre vor uns gemacht und an dieser Stelle schon den Süden erschnuppert. Mit einem Fuss noch in Österreich, mit dem anderen schon in Italien. Am Morgen sind wir in Steinach bei Innsbruck zum Alpencross der Kategorie «mittel» gestartet: 5 Tage, 7000 Höhenmeter, 255 Kilometer offroad. «Jetzt ist endlich die Anspannung weg», sagt Biker Hansruedi beim Losfahren. Was nicht alle von sich behaupten können. 19 Kilometer lang ist die erste Abfahrt nach Sterzing hinunter – und mit jedem Meter wird es heisser. Das Vorderrad schwimmt im Schotter. So wenig bremsen wie möglich und so viel wie nötig, um nicht mit der Bäuerin zu kollidieren, die uns mit dem Rechen unter dem Arm auf ihrer Yamaha entgegenbraust.


DER ZWEITE TAG führt das Pustertal hinauf und dann hinein in die Dolomiten. Die Mähmaschinen haben hier statt Pneus lange Eisendornen, damit sie nicht ins Tal purzeln, und die Verkehrsschilder sind jetzt dreisprachig: italienisch, ladinisch, deutsch. Ladinisch ist auch das Abendessen im Hotel in St. Vigil: Speck und Graukäse, Gerstensuppe und Schlutzkrapfen und als Höhepunkt «Stelzen aus dem Rohr» – das sind Schweinshaxen. Die Meinungen darüber sind geteilt, nicht aber über unsere Bikeroute. Ein samtener Geniesser-Singletrail lässt uns kurvenreich und sorgenfrei nach Piccolino gleiten. Selbst aufwärts kribbelts, zumindest, wenn wie an diesem Tag Neunerspitze, Zehnerspitze und Heiligkreuz vor uns senkrecht aus Wald und Wiesen ragen. Der Kletter-Thriller «Cliffhanger» mit Sylvester Stallone wurde hier gedreht. Wir machen den Thrill selber und stürzen uns hinunter nach La Villa. Für viele ist es der Höhepunkt einer an Begeisterungsausbrüchen reichen Woche. In der Mitte der Abfahrt beginnen Arme und Oberschenkel zu schmerzen. Aber eben: Je weicher die Arme, desto grösser das Glücksgefühl. Und es schwingt kräftig nach beim Apéro-Bier in Corvara. Dort scheint Alta Badia ausschliesslich aus Natur, Hotels und Gondelbahnen zu bestehen. Die Lifte stören erstaunlich wenig. Wo vor zwei Monaten noch Skizirkus war, tobt sich jetzt die Flora im Bergfrühling aus. Auch wir dürfen uns austoben: 31 Steigungsprozente registrieren die Velocomputer an der steilsten Stelle zur Pralongia hoch. Von den Pisten wechseln wir wieder auf alte Militärpfade aus dem Ersten Weltkrieg. Es ist heiss und riecht nach Thymian. Oben auf dem Passo Valparola erzählt Ivan, wie die Italiener 1916 den Col di Lana angebohrt und den Gipfelmitsamt den eingegrabenen Österreichern weggesprengt haben. Im Rifugio gibt es Karten, die den intakten Vorkriegsberg zeigen – oder wie Nostalgiker heute das Bunker-Leben nachspielen.


WIR ZIEHEN DAS BIKER-LEBEN vor, mit viel Apfelstrudel und Espresso. Allerdings ist auch das Bikerleben ein Auf und Ab. Das Ab führt uns über die Damen-Weltcuppiste von Cortina, das Auf durch die wildromantischen Wälder des Fanes-Naturparks: Der Weg in die Felsflanke gehauen, hoch über dem mäandrierenden Fluss und den Latschenkiefer-Wäldern. Die gibt es auch als Schnaps. Er schmeckt gut, die Velofahrer mögen Apfelschorle aber lieber. Gegen Schluss stehen wir auf dem Limojoch und sehen den Heiligkreuzkofel – den Sass dla Crusc – von hinten. So ist er viel sanfter. Bei Maccheroni mit Radicchio und Salsiccia fragen wir uns vor der letzten Abfahrt: «Wie wäre das alles bei Regen gewesen?» Dann sind wir “mittel” geschafft und überglücklich.

 

Mittellandzeitung vom 20.07.2008
Fotos und Text: Philip Gehr


TagesanzeigerMountainbiker auf dem Passo del Naret Auf dem Passo del Naret beginnt die lngste Abfahrt der ganzen Tour. Sie endet nach drei Stunden und 2200 Höhenmetern weiter unten am Lago Maggiore in Locarno.

Achttausend Höhenmeter unter zwei Räder bringen

Eine Tour mit dem Mountainbike über die Alpen ist eine grosse Herausforderung für Mensch und Material – und trotzdem sehr erholsam.

 

Von Simon Eppenberger


Seit drei Stunden fahren wir bergauf, der Schweiss tropft mir von der Nase und ich frage mich, wie der Manfred das bloss durchstehen will. Der 45-Jährige neben mir ist nicht gross, doch er wiegt gut 100 Kilo. Er atmet schwer, sein Gesicht ist rot angelaufen. Trotzdem lächelt er unter seinem Schnauz hervor und meint, die Alpen seien für ihn als Flachländer einfach das Grösste. «Da wo ich herkomme, in der Nähe von Dresden, da sind die Berge höchstens 1400 Meter hoch.» Ich versuche, auch zu lächeln, und hoffe, dass Manfred weiss, auf was er sich eingelassen hat. Denn ich bin mir selber nicht sicher, ob ich die Alpenüberquerung gut überstehe.

 

Mit dem Mountainbike von Bad Ragaz nach Locarno, in fünf Tagen 250 Kilometer weit über Stock und Stein und dabei mehr als 8000 Höhenmeter überwinden, so etwas habe auch ich noch nie gemacht. Mit 29 Jahren bin ich zwar der Jüngste unter den sechs Deutschen und vier Schweizern unserer Gruppe. Doch sonst fahre ich lieber mit der Bergbahn rauf und dann schnell runter. Klar, auf diese Tour hin habe ich an meiner Ausdauer gearbeitet, bin brav um den Greifensee gerollt und öfter auf den Üetliberg gefahren. Nur ist Zürichs Hausberg nicht einmal 900 Meter hoch – und heute, am ersten Tag der Alpentour, fahren wir gleich 2200 Höhenmeter rauf.
Die Gruppe hat sich auseinander gezogen. Jeder fährt sein Tempo. Es ist ruhig geworden, sogar Manfred sagt nichts mehr. Die Sonne brennt. Ein Postauto hornt und braust vorbei. Die Stollen pneus rubbeln über den Asphalt, sonst ist es ruhig. Ein Vogel zwitschert, es riecht nach Heu. Nach dem Kunkel spass arbeiten wir uns hoch zum Glaspass, Kehre um Kehre durch den Nadelwald. Zum Glück fahren wir immer wieder an einen Brunnen heran. Kühles Quellwasser, dazu einen Riegel oder eine Banane – es gibt nichts Besseres.
Als ich oben auf dem Pass ankomme, sitzen Marathonfahrer Sascha aus der Eiffel und Triathletin Claudia aus dem Aargau bereits bei einer Apfelschorle in der Abendsonne. Sie lächeln. Ich auch. Es war zwar anstrengend, aber ich fühle mich gut. Und jetzt warten eine warme Dusche und frische Kleider auf mich.

 

Ein Sturz, ein Platter, weiter geht
Am nächsten Tag geht es sogleich steil bergab ins Safiental. Fünf Minuten nach dem Start meint Wolfgang, mit 56 Jahren der älteste Teilnehmer, eine Abkürzung zu sehen. Er irrt sich, stürzt und schlägt mit dem Gesicht in der Kuhweide auf. Zum Glück blutet seine Nase kaum und die Prellung der linken Hüfte hält ihn auch nicht lange auf. Etwas später macht es  <<pfffff>>. Peter aus Zürich muss absteigen – Plattfuss. Die Abfahrt ist knifflig, Unterarme und Oberschenkel brennen. Die engen Kurven und spitzen Steine fordern volle Konzentration, das Adrenalin pulsiert. Schliesslich kommen wir heil unten an.  für solche Trails fahre ich gerne Berge hoch.
Die frischen Heidelbeeren und das knusprige Brot beim Frühstück im Val Lumnezia sind sehr lecker. Ganz anders die Prognosen: Dauerregen. Wir stecken die Ersatzkleider in Plastikbeutel und ziehen wasserdichte Socken, Regenjacke und Regenhose an. Mit Witzen über das Wetter versuchen wir uns aufzumuntern. Sie gehen im Prasseln des Regens unter. Hauptsache, wir erreichen Disentis und die warme Dusche.

 

Es geht bergauf Richtung Obersaxen. Sascha fährt wie immer voraus, Manfred atmet wieder schwer und ich bin klatschnass – vom Schweiss. Die Regenkleider halten zwar das Wetter ab, dafür schwitzt man darunter auch tüchtig.
Plötzlich hört der Regen auf. Absteigen, Jacke in den Rucksack und weiter. Wir fahren durch Weiler und zwischen alten Heuschobern hindurch. Die Sicht auf die Berge ist glasklar. Als Wolken die Sonne verdecken, zieht Nebel auf und verschluckt uns innert Minuten. Es  wird kalt. Egal, Hauptsache, es regnet nicht. Und überhaupt, wir haben keinen Stress. Keine Pendenzen, keine Mails und kein Handy, das klingelt. Nur pedalieren, atmen, trinken.
Der Trail runter an den Rhein ist feucht, aber traumhaft. Zwischen Kuhfladen, Tannen und über glitschige Steine geht es steil bergab. Ein herrlicher Ritt. Plötzlich liege ich auf dem Boden. Mist, meine linke Schulter schmerzt. Ich hatte zu weit nach vorne geschaut und dabei ein Loch im Boden übersehen. Kurz darauf spickt mir ein Ast ins Hinterrad und reisst eine Speiche heraus. Auch Markus stürzt und zerreisst sich seine Lieblingshose. Fluchend fahren wir weiter.
Bei einem Teller Pasta in der Casa Tödi in Trun vergeht der Frust. Und als uns der Wirt erzählt, dass dort hinten in der Ecke jahrelang Alois Carigiet, der Autor des «Schellenursli» gesessen sei und dass  ich hier im Tal der Graue, der Zehngerichte und der Gotteshausbund 1524 zu Graubünden zusammengeschlossen haben, sind die Schmerzen und die Speiche vergessen.
«Dieser fliesst ins Mittelmeer, der dort drüben in die Nordsee», sagt Führer Boris am vierten Tag. Er zeigt auf zwei rauschende Bäche, dessen Wasser zwischen den Felsen weiss aufschäumt. Wir stehen an der Wasserscheide auf dem Passo del Uomo nahe des Lukmanierpasses. Nur das Klappern der Kette und die Pfiffe der Murmeltiere begleiten uns auf dem engen Trail bergab. Die Luft ist dünn, der Lago Ritom türkisblau. Wir sind die einzigen Biker, nur drei Wanderer kreuzen unseren Weg.
Manfred schnauft und schwitzt, sein Gesicht ist noch immer rot. Aber er pedalt den Berg hoch wie am ersten Tag. Wie er das durchhält? «Ich fahre nach Puls. Im Schnitt nicht mehr als 145 Schläge pro Minute», japst er. Und das Schnaufen sei normal. Er habe enge Atemwege in der Nase.

 

Das Bike geschultert den Berg hoch
Ich steige ab und gehe ein Stück. Das entlastet den Rücken und lockert die Beine. Heute stehen uns 1800 Höhenmeter  bevor. Mittlerweile ein Klacks, wären da nicht die 600 Höhenmeter schieben und tragen. Nach der Alp Cristallina ist es so weit. Ein Wanderweg geht steil nach oben. Über Stufen und Felsen tragen und schieben wir die Bikes. Stundenlang. Zwei Wanderer schütteln den Kopf. Immer wieder anhalten, verschnaufen, trinken. An der rechten Ferse drückt eine Blase. Vor mir geht Manfred den Berg hoch. Er trägt das Bike den ganzen Weg auf den Schultern. Nichts für mich.
Dann bin ich endlich oben auf 2400 Metern, auf dem Passo del Naret, dem höchsten Punkt der Tour. Die unzähligen Gipfel, der See, die klare Luft sind herrlich. Doch ich muss erst mal essen, trinken und trockene Sachen anziehen. In einer windgeschützten Mulde schauen wir in die Ferne und lachen über die Strapazen. Fortan geht es drei Stunden lang nur noch bergab, hinunter an den Lago Maggiore. In Locarno angekommen, springen wir samt Velohosen in den See, müde, aber glücklich. Niemand ist ernsthaft verletzt und wir könnten wohl noch weiterfahren. Nur etwas lässt mich grübeln: Ich weiss nicht, welche Tour ich als Nächstes unter die Räder nehmen soll.

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